Im Gesundheitswesen ist immer wieder von einem Fachkräftemangel die Rede. Neben den in den Medien vielfach erwähnten Pflegeberufen ist auch die Physiotherapie massiv betroffen. Sie gehört zu einem der 139 Engpassberufe, wie ein Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für das Bundes-wirtschaftsministerium zeigt. So kamen in der Physiotherapie 53 Arbeitssuchende auf 100 offene Stellen. Die Forscher gehen von einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels aus, da in den nächsten Jahren viele Therapeuten das Rentenalter erreichen, gleichzeitig entscheiden sich aber immer weniger junge Menschen für die anspruchsvolle Ausbildung. Seit 2007 sind die Zahlen um zehn Prozent zurückgegangen. Nach Angaben des Verbands für Physiotherapeuten IFK suchen schon jetzt über 70 Prozent der Physiotherapie-Praxen in Deutschland qualifiziertes Personal. Viele Stellen können nicht besetzt werden. Für Patienten wird also eine zeitnahe Versorgung immer schwieriger, schon jetzt bestehen vielfach mehrere Wochen Wartezeit auf die notwendige Therapie. Auch wird es immer problematischer, Therapeuten für Hausbesuche zu finden.
Das Problem ist der Politik seit langem bekannt, wurde aber bisher nicht wirksam angegangen. Es bleibt zu hoffen, das sich die neue Bundesregierung endlich darum
kümmern wird - im Interesse der Patienten und ihrer Therapeuten!
Weitere aktuelle Infos zum Thema im nachfolgenden Artikel!
Hochschule Fresenius stellt Ergebnisse einer bundesweiten Studie
zum Fachkräftemangel vor
Pressemitteilung der Hochschule Fresenius vom 02. Oktober 2017
Deutschland droht in den kommenden Jahren ein gewaltiger Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen. Die Hochschule Fresenius in Idstein hat in der Studie "Ich bin
dann mal weg"(*) alarmierende Zahlen zum Fachkräftemarkt und zur Arbeitszufriedenheit von Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten ermittelt. Von rund 1.000 Therapeuten, die an der
Erhebung der Hochschule Fresenius teilnahmen, ist jeder vierte schon jetzt aus seinem Beruf ausgestiegen, fast die Hälfte denkt darüber nach. Nur knapp jeder dritte befragte Therapeut will
aktuell auf jeden Fall in seinem Beruf weiterarbeiten. Besonders kritisch ist die Situation bei den Physiotherapeuten und Logopäden. Die Gründe für den Ausstieg sind überwiegend zu geringe
Verdienstmöglichkeiten und mangelnde berufliche Perspektiven. Vorgestellt wurden die Ergebnisse von den Studierenden des Masterstudiengangs Therapiewissenschaften im Rahmen eines Symposiums, das
am 30. September am Idsteiner Campus der Hochschule Fresenius stattfand.
"Angesichts der Tatsache, dass wir schon allein aufgrund der demografischen Entwicklung deutlich mehr Menschen in den Gesundheitsberufen brauchen, sind die Zahlen
zur schon vollzogenen Berufsflucht, insbesondere aber die zu den drohenden Abgängen mehr als ernüchternd", sagt Dr. Sabine Hammer, Dekanin des MasterStudiengangs Therapiewissenschaften an der
Hochschule Fresenius. "Gerade gesetzlich Versicherte könnten in Zukunft länger auf einen Termin warten müssen: Rund 13 Prozent unserer jetzigen Aussteiger wollen nicht mehr mit den gesetzlichen
Krankenkassen abrechnen." Weitere gut 20 Prozent sind so genannte "Vollaussteiger", die die Sparte komplett wechseln, zwei Drittel bezeichnet die Hochschule Fresenius als "Weiterentwickler", weil
sie in Forschung und Lehre abwandern.
Welche Gründe sind für den Berufsausstieg ausschlaggebend - beziehungsweise ursächlich dafür, dass sich jemand mit dem Ausstieg beschäftigt? "Die Unterschiede
zwischen denen, die schon weg sind und denen, die darüber nachdenken, sind nicht so groß", erläutert Hammer. "Die Hauptrolle spielen finanzielle Erwägungen." Dabei geht es aber nicht allein um
die pauschale Aussage "zu wenig Geld zu verdienen", sondern um das empfundene Ungleichverhältnis zwischen dem Arbeitslohn und der geleisteten Arbeit beziehungsweise den gestiegenen
Lebenshaltungskosten. "Im ersten Fall sprechen wir auch über das Thema Wertschätzung, im zweiten über geänderte Verhältnisse: In den Gesundheitsberufen spielt oft bei den Berufseinsteigern der
Verdienst noch keine so große Rolle. Das wandelt sich mit der Zeit, wenn etwa der Wunsch nach Familie und Eigenheim stärker wird und das Geld dafür nicht reicht", so Hammer. Viele denken aber
auch schon an die zu erwartenden Rentenleistungen. Weitere Aspekte, sich mit einem Berufsausstieg zu beschäftigen, sind mangelnde berufliche Perspektiven und eine zu geringe Lobby. "Diese schlägt
sich laut unseren Befragten in den geringen politischen Einflussmöglichkeiten der Berufsgruppe nieder", sagt Hammer.
Bei der Betrachtung der einzelnen Berufsgruppen fällt auf, dass die Zahlen der Aussteiger noch nah beieinander liegen. Bei den Ergotherapeuten sind es 21 Prozent,
bei den Logopäden 24 und bei den Physiotherapeuten 25 Prozent. Erhebliche Abweichungen gibt es aber bei denjenigen, die aktuell über einen Ausstieg nachdenken. Bei den Ergotherapeuten machen sich
laut eigenen Angaben 38 Prozent darüber Gedanken, bei den Logopäden und Physiotherapeuten hingegen schon 50 beziehungsweise 51 Prozent.
Wie lässt sich die Berufsflucht stoppen oder zumindest eindämmen und damit auch das Risiko für die Gesundheitsversorgung der Zukunft minimieren? Antworten auf diese
Fragen waren Bestandteil der Diskussionen und der Workshops im Rahmen des Symposiums, in denen Lösungsansätze konstruktiv besprochen wurden. Prof. Dr. Volker Maihack, ehemaliger
Bundesgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik und Ehrenvorsitzender des Deutschen Bundesverbandes der akademischen Sprachtherapeuten, brachte das in seinem Gastvortrag
auf den Punkt: "An der Situation lässt sich nur etwas verändern, wenn die Akademisierung in den Berufsgesetzen festgeschrieben wird. Die jüngste Entscheidung der Politik, die Modellklausel in den
Gesundheitsstudiengängen zu verlängern, hat nichts mit weiterer Evaluation zu tun, sondern mit Angst vor Entscheidungen. Wir brauchen außerdem eine nicht nur übergangsweise, sondern dauerhafte
Abkopplung von der Grundlohnsummenanbindung und den Direktzugang der Patienten zu den Therapieberufen." Einigkeit herrschte unter den Diskussionsteilnehmern auch hinsichtlich der Forderung eines
Mitspracherechts für Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden im Gemeinsamen Bundesausschuss, dem bisher Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen angehören. "Und
die Diskussion über die Einrichtung von Therapeutenkammern - analog zu den Ärztekammern -, muss endlich Fahrt aufnehmen", so Prof. Dr. Maihack.
(*)An der Studie "Ich bin dann mal weg" nahmen insgesamt 984 Teilnehmer aus den Gesundheitsberufen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie teil. Die Aufteilung
im Einzelnen: Logopädie 433 Teilnehmer, Physiotherapie 306 Teilnehmer, Ergotherapie 245 Teilnehmer. Konzipiert und durchgeführt wurde die Erhebung von den Studierenden des Masterstudiengangs
Therapiewissenschaften an der Hochschule Fresenius in Idstein. Ziel der Untersuchung war es, den (möglicherweise drohenden) Fachkräftemangel in den genannten Berufen zu untersuchen und
festzustellen, wie hoch die Zahl der Aussteiger ist und wofür die Gründe für eine Berufsflucht liegen. Die Ergebnisse wurden anhand der Beantwortung eines Online-Fragebogens ermittelt, der
insgesamt 50 Tage abrufbar war. Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, spiegelt aufgrund der hohen Teilnehmerzahl aber eine Entwicklung in der Branche wider.
Einzelne Ergebnisse der Studie im Detail
1. Von 984 Teilnehmern haben aktuell bereits 236 den Ausstieg vollzogen. Die Verteilung unter den 748 verbliebenen Teilnehmern sieht wie folgt aus:
a. 38 Prozent wollen in ihrem Beruf weiterarbeiten;
b. 37 Prozent denken über einen Wechsel nach;
c. 15 Prozent planen diesen bereits konkret und
d. 10 Prozent schauen sich momentan um.
2. Unterschiede zwischen den Berufsgruppen:
a. Bei den Ergotherapeuten verzeichnen wir 21 Prozent Aussteiger, 38 Prozent denken über den Wechsel nach und 41 Prozent wollen in ihrem Beruf bleiben.
b. Logopädie: 24 Prozent sind schon weg, 50 Prozent denken über ihren Ausstieg aus dem Beruf nach, 26 Prozent machen weiter.
c. Physiotherapie: 25 Prozent sind bereits ausgestiegen, 51 Prozent denken darüber nach und 24 Prozent wollen im Beruf weiterarbeiten.
3. Die fünf Hauptgründe für den Ausstieg (hier waren Mehrfachnennungen erwünscht):
a. Verdienst (74 Prozent)
b. Perspektiven (67 Prozent)
c. Lobby (58 Prozent)
d. Bürokratie (49 Prozent)
e. Zeit (49 Prozent)
Pressemitteilung der Hochschule Fresenius vom 02. Oktober 2017
Rückenschmerzen – Das Kreuz mit dem Kreuz
Ein Großteil aller Arztbesuche findet heutzutage wegen Rückenschmerzen, Nackenproblemen oder Beschwerden an den Gelenken statt. 28,5 Milliarden Euro kostete die Behandlung dieser Erkrankungen im Jahr 2008 (1).
Das Dilemma der Diagnose
Wer mit körperlichen Beschwerden zum Arzt geht, möchte zuallererst wissen was ihm fehlt. Bei manchen Symptomen kann der Mediziner mit handfesten Diagnosen aufwarten: „ein Herzkranzgefäß ist verengt, die Niere funktioniert nicht ordentlich, der Zahn ist faul…“. Die Therapie orientiert sich dann am Zustand des betroffenen Organs: “eine Bypass-Operation stellt die Durchblutung des Herzens wieder her, ein Medikament hilft der Niere, der Zahn wird gezogen…“.
Bei Beschwerden im Bereich von Wirbelsäule und Gelenken sieht es anders aus. Wer beispielsweise wegen anhaltender Rückenschmerzen zum Mediziner geht, erhält meist das Etikett Lumbalgie, LWS-Syndrom oder Dorsalgie. Diese Ausdrücke besagen nichts anderes als: „der Rücken tut weh“.
Allerdings entspricht dieses Vorgehen dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Renommierte Studien zum Thema zeigen tatsächlich, dass man sehr selten eine bestimmte Struktur im Rücken findet, die definitiv für den Schmerz verantwortlich ist. Nur bei weniger als fünf Prozent aller Rückenschmerzpatienten finden Mediziner eine ernsthafte Erkrankung mit klarer Ursache (2).
Heißt das nun, dass sich der Patient diese Beschwerden einbildet? Nein absolut nicht! Es bedeutet nur, dass in diesen Fällen keine bestimmte Struktur im Körper gefunden wird, die den Schmerz auslöst. Forscher auf diesem Gebiet bezeichnen somit 90 Prozent aller Rückenschmerzen als „unspezifisch“ oder „gutartig“. Die Beschwerden sind nicht lebensbedrohend, können den Betroffenen aber sehr beeinträchtigen. Ähnlich verhält es sich bei Nackenschmerzen und Beschwerden an den Gelenken.
Diese Erkenntnis bestimmt leider auch weitgehend die Therapie. Ohne klare Diagnose steht die moderne Medizin bisweilen recht hilflos Millionen von Schmerzgeplagten gegenüber. Für Rückenschmerzen gelten pauschale Ratschläge: viel bewegen, Muskeln trainieren, Stress abbauen (3).
Diese an sich sinnvollen Strategien helfen aber bei weitem nicht jedem.
Das McKenzie Konzept
In den 50er Jahren entdeckte der neuseeländische Physiotherapeut Robin McKenzie, dass es innerhalb der großen Gruppe „gutartiger“ Rückenschmerzen sehr viele Patienten gibt, die durch bestimmte Bewegungen und Haltungen wesentlich schneller und dauerhaft schmerzfrei werden, als durch übliche Standardbehandlungen.
Er sammelte Erfahrungen und trieb wissenschaftliche Untersuchungen voran. Mehr als 20 Jahre später konfrontierte er die medizinische Fachwelt mit den Erkenntnissen (4,6).
Die Kernaussage des McKenzie Konzepts lautet:
Sogenannte „anatomische Diagnosen“ sind an Wirbelsäule und Gelenken selten möglich und obendrein wenig hilfreich für die Behandlung. Es ist viel effektiver, Beschwerden danach einzuteilen und zu benennen, welche Therapie dem Betroffenen hilft.
Mit der McKenzie-Untersuchung findet der Therapeut/Arzt heraus, welche Haltungen und Bewegungen die Beschwerden des Patienten verschlechtern und welche sie verbessern. Neben einer klar strukturierten Befragung nutzt der geschulte Therapeut bestimmte wiederholt ausgeführte Bewegungstests.
Ziel ist immer, dass der Patient sich mit einfachen Übungen selbst behandeln kann. Reicht Eigenbehandlung nicht aus, unterstützt der Therapeut kurzfristig mit bestimmten Handgriffen.
McKenzies Sicht
Selbstbehandlung ist der effektivste Weg, Beschwerden an Wirbelsäule und Gelenken dauerhaft in den Griff zu bekommen.
Mehr als 200 wissenschaftliche Artikel haben sich in den letzten 20 Jahren mit dem McKenzie Konzept beschäftigt und seinen Wert bestätigt (7). Es ist eines der am häufigsten verwandten physiotherapeutischen Konzepte weltweit (8).
Quellen:
Statistisches Bundesamt. Pressemitteilung vom 11. August 2010 – 281/10. www.gbe-bund.de (1)
Bouter L, Pennick V, Bombardier C. Cochrane back review group. Spine 2003 (2)
Araksinen O et al. European guidelines for the management of chronic non-specific low back pain. European Spine Journal 2006 (3)
McKenzie RA, May S. The Lumbar Spine – Mechanical Diagnosis and Therapy. Spinal Publications. Waikanae New Zealand 2003. (4)
Long A, Donelson R, Fung T. Does it matter which exercise? A randomized control trial of exercises for low back pain. Spine 2004 (5)
Saner-Bissig J. McKenzie – Mechanische Diagnose und Therapie. Thieme 2007 (6)
www.mckenziemdt.org / www.mckenzie.de (7)
Spoto MM, Collins J. Physiotherapy diagnosis in clinical practice: a survey of orthopaedic certified specialists. Physio Res Int 2008
(8)